Freitag, November 11, 2005

Gewinnerin der Wende 3

Die Kunstlehrerin in der Unterstufe, dem Equivalent zur Grundschule, war immer sehr nett. Bei ihr malten wir Drachen, Panzer und Blumen. Sie unterrichtete auch Geschichte. Aber Geschichte gab es erst ab der Fünften. Ich war noch nicht sehr lange in der Schule. Ein paar Bänke weiter saß Conny. Conny war toll und wohnte in der Bötzowstrasse. Nach den Herbstferien war ihre Bank freigeworden. Conny war rübergegangen, in den Westen. Wir hatten nicht danach gefragt, doch die Kunstlehrerin zog über ihre Eltern her, als wären es Verbrecher. Wir verstanden wenig. Sicher, es war ihre Aufgabe und sie hat an die DDR geglaubt. Viele taten das.

Unsere Kunstlehrerin war Parteisekretaärin der Schule. Keine Ahnung was man machen musste, um diesen Posten zu bekommen. Vielleicht genauso viel und genauso wenig wie ich für meinen Posten als stellvertretender Gruppenratsvorsitzender und meine Degradierung zum Trommel-Reporter und Agitator ab der Vierten. Parteischule, Parteilehrjahr, Marxismus-Leninismus-Seminare - der ganze Krempel ist mir erspart geblieben. Sie hat sicher das volle Programm mitgenommen und sie war eine meiner Lieblingslehrerinnen. Nicht nur in Kunst, später auch in Geschichte.

Bis zu einem bestimmten Tag. Mein Freund Matze, einer der besten Schüler unserer Klasse, wurde von ihr zum Abschuss freigegeben. Er gehörte zu den wenigen, die sicherlich eine Zulassung zur EOS bekommen hätten. Die Launen der nachtragenden Kunstlehrerin hätten dies alles zerplatzen lassen können, wäre nicht alles ganz anders gekommen.

Matze hatte eine Frage in einer Geschichts-Leistungskontrolle etwas zu schnippisch beantwortet. Mit einer Quellenangabe: "Siehe Karl Marx, Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest. London 1848."
Das war nun wirklich etwas bequem. Bei einer Bio-Arbeit kann man auch nicht "Siehe Lehrbuch Biologie Klasse 8." schreiben.

Die nette Kunstlehrerin mutierte aber plötzlich zur Furie, schrie herum, br&252llte ihn an und sah in ihm den personifizierten Klassenfeind. Ich war fassungslos. Wer sollte sich da trauen etwas zu sagen? Ich tat es nicht. Soweit ich mich entsinnen kann, wollte sie gleich mit Tadeln um sich werfen.
Das war in der letzten Phase der DDR bei Lehrerinnen und Lehrern sehr beliebt, um einzelne Schüler und ganze Klassen auf Kurs zu halten. Da sind viele Tränen geflossen.

Mit der Wende kamen die Wendehälse. Nein! Sie waren schon da. Die dogmatischen Lehrerinnen stellten die Bänke in U-Form zum Runden Tisch, kopierten aus Westlehrbuechern und sprachen offener oder gar nicht mehr. Die nette Parteisekretaerin der Schule verlor ich aus den Augen. Nach der Schulreform 1991 landete sich wieder an meiner neuen Schule. Ich hatte keinen Unterricht mehr bei ihr. Sie arbeitete nun im anderen Gebäude, bei den 7. und 8. Klassen. Ihr kurzes, blondes Haar war grau geworden.

Wenn ich in der neuen Schule an ihr vorüberging, würdigte sie mich keines Blickes. Vielleicht war ich Vergangenheit und die war nicht mehr da. Sie hat den Sprung geschafft. Ehrlich gesagt, habe ich gehofft, daß sie nicht im Schuldienst bleibt. Doch was hätte sie sonst noch machen koennen? Sie hat niemanden geschlagen. Doch sie hatte Macht und hat sie benutzt. Ich denke nicht, dass sie jemand gezwungen hat. Das einzige Kontrollorgan im Klassenraum waren die Schülerinnen und Schüler. Mit ihrer Schuld muss sie selber leben. Das ist sicher hart genug. Ich mache ihr keine Vorwürfe, begegnen möchte ich ihr aber auch nicht mehr, der Lieblingslehrerin von damals.

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