Mittwoch, März 08, 2006

Intervü mit Pü













Foto: Der Dengler




Pyranja ist 27 und Deutschlands bekannteste und erfolgreichste Rapperin. Seit zehn Jahren ist sie in der Hip Hop Szene aktiv. Mit Jens Steiner sprach sie über Rollenverteilung und Sexismus im Alltag.
In den vergangenen zehn Jahren hat Pyranja die deutsche Musiklandschaft und Hip Hop-Szene von allen Seiten kennengelernt und auch ein bisschen zu ihrer Veränderung beigetragen. Das war nicht immer leicht und angenehm. Ursprünglich kommt Pyranja aus Rostock. Seit sieben Jahren lebt sie in Berlin.Sie wirkte im Kinofilm »Status Yo« mit. Ihre Songs und Videoclips laufen bei den großen deutschen Musiksendern auf Rotation. In ihrer neuen Wahlheimat Berlin hat sie im vergangenen Jahr eine eigene Plattenfirma gegründet. Jetzt ist sie Platten-Boss von Pyranja Records. Sämtliche Göttinger Musikgeschäfte sind mit ihrer neuen Platte »Laut und Leise« bestückt. Vor wenigen Tagen stieg die Single in die Top 100 der deutschen Charts ein und liegt zur Zeit auf Platz 88. Beim Bundesvision Sound Contest vertrat sie ihr Heimatland Mecklenburg-Vorpommern. Im Rahmen ihrer am Freitag beginnenden Europa-Tournee kommt Pyranja auch nach Niedersachsen. Am 7. April spielt sie im Musikzentrum in Hannover.

Seit 85 Jahren feiern Frauen in aller Welt den 8. März als Internationalen Frauentag. Wie hast Du diesen Tag zu DDR-Zeiten im Bezirk Rostock wahrgenommen?


Das war super. Mutti hatte immer frei, dann gab es Nelken zum an die Jacke stecken und einen Eisbecher. Demonstrieren mussten wir manchmal, glaub ich, auch irgendwo. Aber es war immer super, weil wir an dem Tag immer was zusammen unternommen haben. Im Hort durften wir auch immer wunderschöne Postkarten und Bildchen malen - für die starke werktätige Frau im Sozialismus, yeah!

Bekommt Deine Mutti eher zum Frauentag oder eher zum Muttertag was geschenkt?


Ich male ihr was zum Frauentag und Blumen kriegt sie dann am Muttertag.

Wie hat sich die Rolle von Frauen durch die Wende aus Deiner Sicht gewandelt?

Leider ist viel von der Selbstverständlichkeit verloren gegangen, mit der Frauen früher ganz normal werktätig waren und gleichberechtigt zum Familienunterhalt beigetragen haben. Heute darf man sich dafür ja fast schon wieder einen Orden abholen. Klar kommen immer mehr Frauen in Jobs, Aufgabenbereiche und Führungspositionen, trotzdem ist die Emanzipation der Frau ein Stück flöten gegangen, weil man sich heute ja schon beinahe dafür entschuldigen muss, wenn man Karriere und Familie miteinander verbinden möchte.

Heute legt man viel Wert darauf, dass bei der Anrede oder bei Berufsbezeichnungen Frauen immer mitgenannt werden. Im Alltag sieht es aber doch noch sehr patriarchaisch aus. Das »Kinder, Küche, Kirche-Klichee« ist in vielen deutschen Haushalten gelebte Realität. In der DDR hat man sich um solche Floskeln nie Gedanken gemacht. Im Arbeitsleben und bei der Berufswahl, in Sachen körperliche Selbstbestimmung und Schwangerschaftsabbruch herrschten aber schon etwas liberalere Verhältnisse als heute, oder?


Am schlimmsten finde ich die Berufsbezeichnungen Anwaltsfrau oder Zahnarztfrau. Was soll das denn sein? Bekommt man etwa eine Ausbildung/ Studiumsabschluss wenn man sich einen intelligenten Typen angelt oder wie? Dieser "Innen-Fanatismus" ist super übertrieben und vor allem oberflächlich. Im Prinzip kann man den Begriff "female-mc" (* weibliche Rapperin, Anmerkung der Redaktion) in die gleiche Ecke stellen, die Tür für immer abschließen und den Schlüssel ganz weit wegwerfen.

Mittlerweile gibt es in Firmen und Institutionen Gleichstellungsbeauftragte. Wie gleich sind Frauen und Männer Deiner Meinung nach in Deutschland wirklich?


Ziemlich ungleich. Warum verdienen Frauen im Schnitt eigentlich immer noch weniger als Männer, die genau die gleiche Arbeit machen, Frau Kanzlerin? Und warum verdienen Frauen im Osten noch immer weniger als Frauen im Westen? Mehr als 15 Jahre nach der Vereinigung? Darauf hätte ich mal gerne eine wirkliche Antwort. Die Leier mit den unterschiedlichen Preisniveaus in Ost und West zieht nämlich schön längst nicht mehr.

Es gibt immer mal wieder Leute, die meinen, die Gesellschaft wird immer verklemmter und konservativer und genauso viele, die sagen, hier ginge es viel zu liberal zu und alle alten Werte würden verfallen. Siehst Du irgendwelche Tendenzen oder Entwicklungen?


Ist doch klar: Durch das zunehmende Chaos in der Welt, zieht man sich gerne in die altbekannten Muster und Wertvorstellungen zurück, um überhaupt noch einen Fixpunkt im Leben zu haben. Wenn alles sich immer schneller verändert und nichts mehr so ist wie es einmal war, sucht man sich seine Rückenlehne in dem, was immer verlässlich dafür da war und kann sich schön konservativ über die ganze böse Welt aufregen. Das Problem unserer Generation sind nicht die Möglichkeiten, sondern die Entscheidungen. Je mehr Möglichkeiten man hat, desto schwieriger fallen einem die Entscheidungen, die man treffen muss.

Was nervt Dich in Deinem Alltagsleben am meisten an anderen Frauen? Und was an Männern?

Überaufgetakelte Famebitches (Szene-Begriff für Frauen, die sich zur Selbstaufwertung bei bekannten Persönlichkeiten einkratzen, Anm. d. Red.), die von sich selbst eingenommen sind, diskutierende »Emanzen«, die trotzdem nichts bewegen und karrieregeile Praktikantengirls. An Männern: Gönnerhaftigkeit, Dummheit, Arroganz und wenn sie sich dann mit Mitte 40 eine 18 jährige Midlifecrisis-Überwindung zulegen.

Ob Du es Dir nun eingestehst oder nicht, ein bisschen Vorbildrolle haste ja nun doch inne. Was willst Du den Leuten, die Deine Musik hören, mit auf den Weg geben?


Nüscht. Hört meine Musik, da is alles gesagt.

Hast Du mehr Jungs oder mehr Mädels als Freunde?

Definitiv mehr Jungs.
Fühlst Du Dich als Frau in der Gesellschaft diskrimisiert?
Kommt ganz drauf an. Es gab schon Situationen in denen ich mich so gefühlt habe.

Wo begegnet Dir persönlich "Sexismus im Alltag"?


Im Prinzip überall. Machmal MTV an. Oder geh mal in eine Autowerkstatt oder auf eine Baustelle, oder in einen Hafen oder ins Musikstudio. Das Schlimme ist ja dieser akzeptierte Seximus, der gar nicht mehr auffällt, weil sich schon niemand mehr darüber aufregt, da er so alltäglich geworden ist.

Mehr Informationen im Internet unter Pyranja.net und www.myspace.com/pyranja

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