An einem trüben Herbsttag schlenderte ich mit einer befreundeten Ausstellungsmacherin über das diesjährige Art Forum Berlin. Durchquerte eine Koje nach der anderen, sah nervende Biskys tonnenweise bei der Galerie Crone, Gemischtwaren bei Eigen + Art und Unmengen Fotos. Landschaftsfotos, großformatige C-Prints oder Porträtfotos, kleinformatig, in schwarz-weiß. Meine Begleiterin blieb dann ungewöhnlich lange bei einer Galerie stehen.
Ich sah inzwischen eine weitere Ausstellungshalle durch und fand sie anschließend, noch immer bei der gleichen Galerie, interessiert in einem Katalog blätternd. Was gab es zu sehen? Bei dem Amsterdamer Aussteller „Ellen de Bruijne Projects“ hing eine Reihe gerahmter schwarz-weiß Aufnahmen mit der flüchtigen Ästhetik von Paparazzifotos.
Gekennzeichnet als BStU-Kopie erkannte ich auf den Observationsfotos der Staatssicherheit eine Gruppe nackter Menschen am FKK-Strand und auf einem anderen eine rauchende Frau in einem Zimmer, welche auch im Katalog des Artforums auf der Seite eben dieser Galerie anonymisiert abgedruckt wurde. Der Preis je Foto bei einer Auflage von 3 + 1 AP wurde mit 3.800 bis 5.000 Euro angegeben. Auf einem daneben hängendem Screen zeigte die Galerie Stasifilmaufnahmen eines öffentlichen Platzes. Die Arbeiten wurden der spanischen Künstlerin Dora Garcia zugeschrieben.
Dora Garcia Interesse an dem Thema wurde in Vorbereitung eines Projektes, das sie innerhalb des Blinky-Palermo - Stipendiums in Leipzig realisieren wollte, geweckt. Auf der Suche nach Wolfgang Hilbigs „Ich“ stieß sie im Netz zufällig auf den Artikel „Loyal Dissidents and Stasi Poets“ und fand das dies nun spannend genug wäre, um es künstlerisch zu verarbeiten, so sie selbst in einem Interview mit Julia Schäfer von der GfzK in Leipzig.
Im Zuge der geplanten Ausstellung in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig arbeitete sie eng mit Julia Schäfer zusammen und erhielt Fotos und Filmaufnahmen aus dem Archiv der BStU. Garcia entwickelte eine fiktive Geschichte und brachte diese mit Leipziger Schauspielern zur Umsetzung. Daraus ging der Film "Zimmer, Gespräche", der auch der Titel ihrer Ausstellung und des dazugehörigen Kataloges in Leipzig war, hervor. Anhand von originalen Mitschnitten und Dokumenten hat Dora García in einer Wohnung Dialoge zwischen einem Stasiführungsoffizier und einem IM inszeniert. Der Film wurde in der Ausstellung von mehreren Stasi-Videos und Stasi-Fotos begleitet. Die Videos "window", "car", "walking man", "couple" oder "house" zeigen den Alltag verschiedener Menschen. Wie sie ihr Wohnhaus verlassen, wie sie ihr Auto waschen, wie sie sich auf der Straße bewegen.
García hatte die zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellten Überwachungsvideos, Filme, Fotos und das Lehrmaterial der Stasi gesichtet und bezog diese in ihre eigene künstlerische Arbeit. So sieht man in dem Ausstellungskatalog auf einigen Seiten BStU- Fotos von Punks, die erkennungsdienstlich behandelt wurden. Und auch die oben erwähnte Porträtaufnahme einer Frau. Diese heißt dann Smoking Lady, end of the seventies. Es handelt sich bei dieser Frau um Tina Krone, Mitgründerin des Neuen Forums und leitende Mitarbeiterin der Robert-Havemann-Gesellschaft Berlin. Die Punks sind aus Erfurt und heißen CD Spinne, OT…. usw. Keine dieser Personen wusste etwas von ihrer künstlerischen Vermarktung oder wurde namentlich erwähnt.
Auf der Veranstaltung von Zimmer, Gespräche zu Konspirative Wohnungen im Rahmen der Ausstellung „ Konspirative Wohnungen / Conspiracy Dwellings“ im Kunsthaus Erfurt am 24. Oktober darauf von der Geschäftsführerin Monique Förster im Beisein der Presse angesprochen, erklärt Dora Garcia wahrheitswidrig sowohl einen Vertrag mit der BStU , der diese Vorgehensweise stützt, als auch die Einwilligung der Betroffenen erhalten zu haben. Unabhängig davon sei es mit der Fotoauswahl und der Rahmung der Abzüge zu ihrer künstlerischen Arbeit geworden.
In Fachkreisen murrt es immer lauter und so war nicht verwunderlich, dass bei der Tagung „Vergangenheit in der Gegenwart. Gesellschaftlicher Diskurs zum Umgang mit Diktaturgeschichte in Europa“ bei der Stiftung Genshagen, am 26. Oktober, wo Garcia ins Podium geladen war, einige der Beteiligten schon im Bilde waren. Schnell wechselte die Diskussion vom geplanten Thema „Freiheit und Diktatur im Film“ zu den Fotos von Dora Garcia. Bemerkenswerterweise wurde einen Tag vorher das auf der Internetseite ihrer Galerie veröffentlichte Foto der rauchenden Frau entfernt. Auf dem Podium jedoch rechtfertigte sie die Vermarktung und wiederholte ihre These von der Freiheit der Kunst. Die anwesende Marianne Birthler wies dies energisch zurück und kündigte rechtliche Schritte an. Ihre Justiziare haben den Fall auf den Tisch.
Gewöhnten wir uns schon an die Vermarktung von Fahndungsfotos der RAF-Mitglieder der ersten Generation in allen Arten, ist der Verkauf von Stasifotos in den letzten 17 Jahren nur im Zusammenhang mit „Enthüllungen“ in großen deutschen Magazinen und Fernsehbeiträgen bekannt geworden. Eine alte, nicht beantwortete Frage aus Zeiten der Stasizentralenbesetzungen lautete: Wem gehören die Akten? Den Betroffenen, dem Staat oder dem Markt.
natter | 04.11.07 21:06 | Ost:blog
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