Freitag, Mai 30, 2008

Hilfe Marthashof

Prenzlauer Berg kriegt den Rest. Es trifft einen wie der Blitz aus längst nicht mehr heiterem Himmel, liest man Bert Papenfuß’ Rede »Ossifizierung und Verschleiß«, gehalten vor genau zehn Jahren anläßlich der Verleihung des Erich-Fried-Preises. In ihr spricht Papenfuß, einen Gang, keinen Spaziergang, durch den Ostberliner Bezirk rekapitulierend, von einer Bevölkerungskatastrophe, wie sie sonst nur nach Kriegen stattfindet. Als vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung baut die Stofanel Investment GmbH (Berlin verdankt ihr schon den Pariser Platz) seit einigen Monaten eine Wohnanlage in der Schwedter Straße, zwischen der Flaniermeile Kastanienallee und dem Mauerpark.

»Urban Villages« verspricht die Werbung, Leben im Grünen und in der Metropole. Am kreativen Puls Berlins, versteht sich. Spätestens hier sollte klar sein: Zu mieten wird es da nichts geben. Wer einziehen will, muß kaufen. Das Projekt – es ist das größte seiner Art im Bezirk – trägt den schönen Namen »Marthashof«. Geschmackloser geht es kaum. »Marthashof« war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Heim für gefallene Mädchen vom Lande, betrieben von Kaiserswerther Diakonissen und später auch eine Schule, die 1943 zerbombt wurde. Werden die Käufer der aus dem Boden schießenden »Townhouses«, »Gardenhouses« und »Vertical Villas« also ihre Putzfrauen mit einziehen lassen?

Bis zur Schlüsselübergabe 2009 werden auf 12000 Quadratmetern Sanddünen und Berge in gigantischer Höhe aufgeschüttet, Bäume gepflanzt etc. – am Ende wird ein U-förmiger Koloß den Bewohnern der angrenzenden Häuser das letzte Sonnenlicht nehmen. In Zilles Berlin mußte für die bessere Aussicht schließlich auch mehr bezahlt werden.

Vor einigen Tagen haben sich Architekten des Projekts auf einer Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wirtschaft den Fragen von Anwohnern gestellt. Es war, um es kurz zu machen, eine kommunikatives Desaster. Der lächelnde Mann, den die Bauherren an die Front geschickt hatten, antwortete worauf auch immer mit einem Satz: »Es ist und bleibt ein privates Grundstück.« Egal, ob es darum ging, was man sich als Anwohner unter einer halböffentlichen Anlage vorzustellen hat, ob zu ihrer Sicherung eine Wachschutzfirma (Arbeitsplätze!) angestellt wird oder ob in irgendeiner Form an den alten Marthashof erinnert werden soll.

Zwischen Nullsätzen war in Erfahrung zu bringen: Geheizt wird ökologisch mit Pellets und Geothermie, dazu werden 99 Meter tiefe Bohrungen vorgenommen. Weil das Gelände zur Straße abschüssig liegt, wird das Grundstück angehoben werden. Gewohnt wird dort nicht. Sondern es findet Wohnen statt.

Im Grunde ist es zu spät. Als vor zehn Jahren jeder die Glücksformel Prenzlauer Berg im Munde führte, hätte man einschreiten müssen. Immerhin klebten im Herbst Einstürzende-Neubauten-Plakate am Bauzaun. Die Anwohner organisieren sich. Nehmen wir die Bauherren bei ihrem Wort: »Don’t compromise«. Wir bleiben alle. Könnt ihr Prosecco drauf trinken.

Von Robert Mießner

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