Samstag, Oktober 25, 2008

Ich will nicht an den Pranger gestellt werden

Wer steht schon gerne am Schandpfahl? Niemand. Doch irgendwie erlebt das Mittelalter ja in den letzten Jahren eine neue Renaissance. Da wird nicht nur die Wiedereinführung der Folter unter dem positiver klingenden Deckmäntelchen Rettungsfolter diskutiert, da gibt es auch Bürger, die ernsthaft die Wiedereinführung des Prangers durchdrücken wollen. Mit diesem Vorschlag ist gestern noch ein Berliner Bürger vor dem Petitionsausschuss des Bundestages gescheitert. Noch.

Seiner Ansicht nach müssten Menschen öffentlich an den Pranger gestellt werden, "deren herausragende Position in Politik/Gesellschaft eine besondere Vorbildfunktion fordert, und deren Fehlverhalten geeignet ist, unter der Bevölkerung schwere Irritationen oder auch Nachahmungseffekte, bei labilen Menschen, zum Nachteil derselben aber auch des Staates, herbeizuführen".

Es ist offensichtlich, dass weder Napoleons Code Civil und der damit einhergehende moderne Strafvollzug noch Aufklärung oder rechtsstaatliche Prinzipien in der Bevölkerung dauerhaft Anerkennung gefunden haben. Das finde ich erschreckend.

Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit komme ich immer am Hausvogteiplatz vorbei. Die Wenigsten wissen es. Doch an dieser Stelle wurde 1853 zuletzt eine Person an den Pranger gestellt. Meineid lautete das Urteil gegen die Frau. Einen kurzen Erlebnisbericht kann man in Johannes E.S. Schmidts Buch "Die Französische Domschule und das Französische Gymnasium zu Berlin. Schülererinnerungen 1848-1861" nachlesen.

„... als es uns auffiel, dass sich vor der Hausvogtei eine neugierige Menschenschar unruhig vor etwas herumdrängte. Wir beschleunigten unsere Schritte und erblickten nun eine schon ziemlich bejahrte, korpulente Frau, mit den Händen rücklings an einen Pfahl gebunden, über dem zu lesen war: ‚Wegen Meineid‘. Man schrieb damals 1853. Es war also ein auf der Höhe der Reaktion gemachter Versuch, die mittelalterliche Strafe des Prangers wieder einzuführen. Als wir um zwölf Uhr auf dem Rückwege an derselben Stelle standen, war das uns Jungen natürlich sehr interessierende Schauspiel bereits von der Bildfläche verschwunden. Die Regierung hatte wohl eingesehen, dass sie nach 1848 so etwas den Berlinern nicht mehr bieten durfte.“


Ich hoffe nur, dass uns solche Szenen noch lange erspart bleiben.

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