Günter Schabowski gab grad seine Preesekonferenz im Palast der Republik. Ich starrte gespannt auf den Fernseher. Das war irgendwann am Nachmittag. Meine Eltern waren in Aufbruchstimmung. Wir wollten nach Mecklenburg, was nur inoffiziell Mecklenburg hiess, zu einer silbernen Hochzeit. Kurz bevor der ehemalige Ober-FDJler, Agitator, Journalist und SED-Bezirkschef leicht verwirrt seinen historischen Satz sagte, fuhren wir gen Westen. Aber nur bis kurz vor die Elbe. Dann bekamen wir zwei Tage nichts mit. Ich stromerte in den guten Klamotten durch die Ludwigsluster Wälder, entdeckte alte Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg und liess mich vom Förster mit seinem DDR-Emblem an der Mütze verscheuchen.
Zehn Kilometer weiter, in Dömitz an der Elbe, klaffte seit Jahrzehnten eine Lücke. Am Fusse der Fritz-Reuter-Festung führte damals eine Brücke über grossen Fluss nach Niedersachsen. Für mich war es keine Lücke. Ich kannte es nicht anders. Ich hatte mal mit meinen Grosseltern den Grenzzaun besichtigt. Im Gegensatz zu Berlin konnte man hier viel besser in den Westen sehen.
Die Silberhochzeit war im vollen Gange. Es wurde Lambada getanzt. Alle waren im im Roxette und Elf99-Dirty Dancing Fieber. Als mir der Magen zu sehr drückte, schmuggelte ich mich wieder raus aus der silbernen Hochzeitsgesellschaft. Ich war 12 Jahre alt und ging in der Menge gut unter.
Ich schlich durch eine Sägewerk, durch die Ziegelei. Damals waren beide Fabriken noch in Betrieb. Hier wurde noch gesägt und gehämmert, noch. Eine orange Werkslok rollte auf mich zu. Ein Rangierer mit typischem DDR-Bauhelm und dreckiger organger Weste hing vorn an der Lok. Ich warf mich in die Büsche und fühlte mich wie Mac Gyver in persona. Kati Witt fand ich ja auch toll. Ich hatte sie mal bei einem Fackelaufmarsch in Leipzig im FDJ-Hemd eine Rede halten sehen.
Die Silberhochzeit wurde noch bis zum 11. November gefeiert. Beim Frühschoppen kamen zwei Bekannte in den Saal gesprungen. Ihre freudigen "Wir waren im Westen und sind zurückgekommen."-Rufe wollte keine richtig für voll nehmen. Sie prahlten mit ihren Stempeln im Personalausweis. Das war damals noch ein richtiges Büchlein. Ich habe nie einen gehabt. Ich war zu jung. So langsam, also 3 Tage verspätet kam die Nachricht bei uns an. Die Mauer stand noch, die Grenzüberg&228nge waren offen.
Was sollten wir davon halten? Am 12. November fuhren wir zurück nach Berlin. Uns kamen massig Autos entgegen. So unmotorisiert war der Osten nicht. Wir hatten unseren Sapo aus der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Hellblau, stylisch, störungsanfÄllig, aber leicht zu warten und superpeinlich.
Im Radio hörten wir, dass in der Eberswalder Strasse jetzt auch ein Grenzübergang sei. Meine Mutter juckte das wenig. Mein Vater und ich liefen nach unserer Ankunft hin. Das Warten in einer Endlosschlange vor einem W50 war das Spannenste. Nein, noch spannender war der Schritt ins Niemandsland, jetzt ausgeleuchtet mit Flutlichtscheinwerfern. Es ging viel zu schnell.
Der Westen war ernüchternd. Plattenbauten wie im Ernst-Th#228lmannpark, der ranzige Wedding marschierte nicht mehr, war aber eine sozial schwache Gegend geblieben. Wir liefen vor bis zur Voltastrasse und Nixdorf, fuhren ein bisschen U-Bahn und kamen enttäuscht wieder in den guten alten Prenzlauer Berg zurück.
Die Mauer war gefallen. Für viele brach eine Welt zusammen, für mich war es das Aufstossen eines Tores in eine neue Lebensetappe. Bewusst war mir das nicht, auch wenn mir klar war, dass ich grad ein Stück Geschichte miterlebe.
1 Kommentar:
Achja die Wende. Der große Ausverkauf des Ostens. Eigentlich war ja der Westen schon pleite & wurde nochmal 16 Jahre gepuscht. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Frohlockend reibe ich mir die Hände, an der Spitze des Deutschen Reiches eine Ossifrau, an der Spitze der anderen großen Volkspartei auch ein Ossi. Wer hat denn da den Krieg gewonnen. Jo. Ich weiß nur, daß die Leute im Osten deutscher geblieben sind, weil ihre Kollegas im Westen mehr amerikanisiert wurden. Yes. Mußte mal gesagt werden. Pünktlichkeit rules.
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