„Wandertag“ stand vor zwanzig Jahren in meinem Hausaufgabenheft. Hinter dem Wort hatte ich, wie fast alle meine Mitschüler auch, ein kleines blaues Dreieck gemalt. Das hieß Halstuch umbinden. Ziel unseres Ausflugs war das sowjetische Ehrenmal in Berlin Treptow. Wir alle kannten schon das Bild des Rotarmisten mit dem Kind auf dem Arm, der ein Hakenkreuz zertritt. Wir kannten seine Geschichte und die unseres kleinen Landes, unserer Heimat. Viele Pioniere zogen an diesem Tag durch den Treptower Park.
Vorbei am Hafen der Weißen Flotte und der Archenhold-Sternwarte zogen wir zum großen Tor des Soldatenfriedhofs. Wir wurden kurz belehrt, wie man sich in Gedenkstätten und auf Friedhöfen verhält. Kleine Skulpturen, grüne Wiese, Blumengebinde, riesiege Kränze aus Metall und viel freie Fläche. Bis zum Rotarmisten war es jedoch noch ein langer Weg. Wir liefen und liefen und sahen ihn vor uns stehen. Die Frühlingssonne ließ die weißen Blöcke mit den Stalin-Zitaten in kyrillischer Schrift hell glänzen. Unsere Klassenlehrerin erklärte geduldig, wie uns die Rote Armee vom Hitler-Faschismus befreite. Mal hörten wir interessiert zu, mal hüpften wir lachend über die Soldatengräber, die wir gar nicht als solche wahrnahmen und mussten uns umgehend ermahnen lassen. Ich hatte einen roten Plastik-Stern an meinem Anorak. Den hatte ich wenige Tage zuvor als Auszeichnung beim Appell erhalten. Ich wusste nie so recht wofür, fand aber toll, dass ich einen hatte. Ein paar Monate später tauschte ich ihn gegen irgend ein anderes Spielzeug.
Wir flitzten die lange, steile Treppe zum weißen Sockel des Rotarmisten-Denkmals hinauf. Mich interessierte brennend, was sich hinter dem schwarzen Türchen verbergen würde. Der Zutritt blieb uns aber verwehrt. Wir konnten unsere kleinen Köpfe nur durch das schmale Gitter drücken. Ein paar Kränze, ein Mosaik – mehr gab es nicht zu sehen. Heute, zwanzig Jahre später, werde ich wieder zum Sowjetischen Ehrenmal gehen und mir ansehen, wie die Menschen heute mit diesem Jahrestag umgehen. Den „Tag der Befreiung“ zu vergessen, fiel zu DDR-Zeiten recht schwer, da jeden Mittwoch um 13 Uhr die Sirenen für eine Minute heulten, um daran zu erinnern.
Für Russland endet der Krieg gegen Deutschland erst am neunten Mai, da die Kapitualtionserklärung in Berlin Karlshorst erst einen Tag nach Kriegsende ein zweites Mal unterzeichnet wurde.
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