Sicher wird der 11.09.2001 für viele ewig in Erinnerung bleiben wie der 09.11.1989.
In der Nacht zuvor hatte ich von Sabes Tod erfahren. Sein Fenstersturz in der Greifswalder Straße am Freitag zuvor ließ mich keine Ruhe finden.
Grafik: indymedia.org
Am Morgen des 11. September musste ich wieder im Call Center antreten. Ich arbeitete in der Voltastraße im Wedding und musste für den Mobilfunkanbieter Victor Vox Ex-Kunden am Telefon überzeugen, ihren Handyvertrag um zwei Jahre zu verlängern. Mein alter Klassenkamerad und Schulfreund Alex arbeitete im gleichen Center und musste für die Ruhrgas AG telefonieren. Auch er kannte Sabe.
Für ihn war der Tag gelaufen, als ich ihm die Nachricht von seinem Tod überbrachte. Der Tag in den ehemaligen AEG-Fabrikhallen verlief sonst ganz normal.
Endloses, schleimiges Geplapper an hunderten Sitzplätzen. Junior-Teamer mit freundlich-kontrollierendem Blick schlichen durch die Gänge und observierten das Telefonverhalten armer Studierender, die ihre Stimme verkauften, um davon ihre Miete zahlen zu können.
Am Nachmittag schlug die Stimmung um. Ich wunderte mich, warum ich niemanden mehr erreichte. Um mich rum wurde es leerer. Melanie, eine verbündete Studentin, die in der Nebenhalle die Technikhotline von Freenet betreute, kam zu mir und meinte: "Grad ist ein Flugzeug ins World Trade Center gestürzt." Die Freenent-Leute hatten Internet-Zugang. Wir hatten nicht mal Rechner und mussten alles auf Papier erledigen.
Bild: Indymedia.org
Die Arbeit war gelaufen. Eine halbe Stunde später kam sie wieder vorbei. "Schon wieder eins reingeknallt." Das konnte kein Zufall mehr sein.
Vorm Pausenraum stand ein internetfähiger Mac, an dem Agents ihre Mails checken durften.
Sieben oder acht Leute tummelten sich um den Rechner. Die wildesten Spekulationen wurden laut.
CNN, Tagesschau und Spiegelonline waren nicht zu erreichen. Ich öffnete die New Yoler Indymedia-Seite, die noch nicht überlastet war. Die Bilder waren schokierend.
Andere Leute hingen vor dem großen Fernseher im Chefbüro. Ausnahmezustand im Call Center. Wir wurden nach Hause geschickt. Telefonieren hatte jetzt eh kein Sinn mehr. Kommt jetzt Krieg?
Ich sprang in meinen Renault Clio, führ durch den Regen nach Kreuzberg. Bei M99, dem Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf war plötzlich auch ein Fernseher aufgebaut. Der Laden war voll. Auf dem Bildschirm, Jörg Schönbohm, Berlins ehemaliger Innensenator mit militärischer Vergangenheit. "Ich denke in dieser schweren Stunde an meine Freunde beim CIA."
Pentagon, Foto: Geoffmetcalf.com
Das Pentagon sollte wohl auch was abbekommen haben. Genaues wusste niemand.
Mir war das alles ein bißchen viel. Ich fuhr nach Hause. Meine Eltern lagen im Bett, sahen sich im Fernsehen Bilder von Menschen an, die sich aus den Fenstern der Twin Towers stürzten.
Ich wusste nicht wohin mit meiner Trauer um Sabe und meiner Angst vor dem was jetzt kommen mag.
Ich rief meine Freunde und ehemalige Lehrer in den USA an.
"Jens, I am afraid we are going to war now", sagte meine ehemalige Bio-Lehrerin am Telefon. Auch der alte Bibliothekar Mister Hough verfolgte seit dem Morgen das Geschehen in New York und hatte ähnliche Bedenken.
Ich rief Jens auf Bansin an, fragte ob ich vorbeikommen könnte. Am nächsten Morgen fuhr ich an die Ostsee. Landstraße. Vor allen Schulen und Rathäusern hingen die Flaggen auf Halbmast.
Warum in Deutschland? War das der Abschied vom Frieden? Es regnete. Ich heulte. Erst als ch in Bansin ankam, fing ich mich wieder einigermaßen.
Er war an der Dekra-Filmschule. Er und andere Kursteilnehmer rannten mit Kamera und Mikro durch den Badeort und befragten die Rentnergruppen zu ihren Eindrücken von den Ereignissen in New York. Niemand hatte etwas von Flugzeugen mitbekommen, die ins WTC gestürzt sind. Keiner der Befragten konnte sich sowas vorstellen.
Ich blieb zwei Tage. Wir nahmen drei Lieder für mein Album auf. Eins davon passte textlich perfekt auf das was geschehen war. Doch der Text war bereits eine knappe Woche alt.
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Bericht über Atmo in Berlin auf Telepolis.de
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