Donnerstag, August 28, 2008

Steiners Tapedeck Story Teil 1

Das braune Tonbandgerät meiner Eltern und ihre fünf ORWO-Tonbänder waren für mich offiziell tabu. Zu besonderen Anlässen schlossen sie das Gerät an den Kopfhörerausgang ihres sowjetischen Junost-s/w-Fernsehers an. Ein ABBA-Konzert und die OTTO-Show waren ihre heiligsten Aufnahmen. Ich brach das Tabu regelmäßig in den Ferien, wenn mir die Keller, Dächer und Hinterhöfe Prenzlauer Bergs zu langweilig wurden. Das Entstauben des Gerätes mit dem nackten Arm wurde zum kleinen Ritual. Wenn ich mir die riesigen schwarzen Russen-Kopfhörer mit dem gekräuseltem Kabel und den dicken Lautstärkereglern aufsetzte, fühlte ich mich wie die Airwolf-Piloten Hawke und Santini.
















Die ORWO-Bänder aus den Pappschachteln zu bekommen und richtig aufzuspulen, war eine Sisyphosarbeit. Meinen Patschehänden mangelte es an Feinmotorik. Spulen machte mir Spaß. Es klackte, ratterte und surrte. Die Luft roch nach heißem Staub. Das war als würde ich eine richtige Maschine bedienen, viel besser als im PA-Unterricht. Musik war mir noch egal. An Otto Waalkes hatte ich mehr Freude als an den ABBA-Konzerten. Mit seinen Hänsel-und-Gretel-Coverversionen von Major Tom konnte ich besser das machen, was man heute scratchen nennen würde.

[Apspieltaste]: Im dunklen Märchenwald wird Gretel panisch, Hänsel ist nicht da - das kommt ihr spanisch, der knabbert immerzu - am Knusperhäuschen, Hänsel bitte mach - doch mal ein Päuschen, doch - der Frisst und frisst. [Halt-Taste], [Rückwärts-Taste]

Davon bekam das Tonbandgerät eines Tages tierischen Hunger auf Bandsalat und fraß gerade die schauen letzten neun Minuten der Show. Mir blieb nur der Griff zur Schere. Das zerkräuselte Band versenkte ich heimlich in der Mülltonne des Nachbarhauses. Nach der peinlichen Panne verschwanden die Bänder für immer in den Schränken meiner Eltern. Das Gerät überlebte die Wende noch acht Jahre als Staubfänger. Als meine Eltern die Flucht aus Prenzlauer Berg antraten, brachte ich es mit meinem Vater als Elektroschrott zum Recyclinghof.

zum Mitschnitt der im Bandsalat verlorenen Tonbandminuten hier

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