Donnerstag, Juni 26, 2008

Ostberlin-Rufe unter der U-Bahn in der Schönhauser Allee


Nicht ganz ohne Schadenfreude betrachtete ich die vielen Störungsmeldungen auf den Leinwänden und Flachbildschirmen vor Prenzlauer Bergs Cafes und Restaurants. Die meisten Großleinwände gab es im LSD-Viertel, zwischen Helmi und Stargarder. Das jüngste Publikum sammelte sich auf einem Hof in der Lychner/ Ecke Stargarder Straße.

Noch hat die UEFA hat noch keine offizielle Erklärung für die Bildausfälle während des EM-Halbfinalspiels Deutschland - Türkei in Basel gefunden. Man schiebt es bisher inoffiziell auf ein schweres Unwetter über Wien, wo sich das internationale Sendezentrum befindet. Vielleicht hat auch jemand nachgeholfen? Wer weiß das schon so genau?

Aus dem Wedding dröhnte das Krachen der Böller herüber, als in Basel die Tore für die Türkei fielen. Das war nichts gegen das Feuerwerk in der Cantianstraße zum Ende des Spiels. Binnen weniger Minuten strömten tausende Menschen zu P-Bergs bekanntester Kreuzung. Mit Bedacht hatte die Polizei
Da wo Schönhauser Allee, Pappelallee, Danziger und Eberswalder Straße zusammentreffen, ging für den Autoverkehr plötzlich gar nichts mehr. Flatternde Deutschland-Fahnen, hallende Deutschland-Rufe und ein Gesang ohne Melodie, jedoch mit etwas Text: "Finale -ohoohohooo" erfüllten den Magistratsschirm.

Junge Väter schleppten auf den Schultern die schlafenden, schwarz-rot-gelb angemalten Kinder nach Hause. Ein torkelnder Teenie im Deutschland-Shirt zeigt auf dem Weg zur Sparkasse den Hitlergruß, natürlich ohne rechten oder nationalistischen Hintergrund. Drei Jungs klettern mit Fahnen bestückt auf Ampeln. Die Polizei fischt sich einen Teenager aus der Menge und zerrt ihn in eine Wanne. Hupkonzert. Jede U-Bahn bringt neue Hunderterschwärme in schwarz-rot-gold auf die Kreuzung. Ein Hubschrauber kreiste unbemerkt über den Dächern. Die Rettungswagen der Feuerwehr aus der Oderberger Straße machten vor der besetzten Kreuzung kehrt und schlengelten sich irgendwie ander s zu ihren Opfern durch.

Unfassbar: Plötzlich verstummen die Deutschlandrufe. Stattdessen gröhlt man "Ostberlin, Ostberlin, Ostberlin". Sowas habe ich noch nicht erlebt. Massenwahn. "Hinsetzen, hinsetzen, hinsetzen!" war die nächste Parole. Das hatte was von "Reclaim the Streets" oder den Demonstrationen der KPD rz im Kreuzberg der Neunziger. Da lauteten die Schlachtrufe "Wir sind die Post!" und "Gegen, gegen, gegenüber!"

Zur gleichen Zeit soll es in Kreuzberg, zwischen Adalbertstraße und Kotti beinahe zu einer Massenschlägerei. In Pankow wurde eine Telefonzelle gesprengt. Der Kurfürstendamm soll sich laut Tagesspiegel auch in eine Fußgängerzone verwandelt haben. In ganz Berlin gab es nach Mainstream-Medienberichten 16 Verletzte und 80 Festnahmen. Doch die Berliner sind nicht die Härtesten. Die Wiener Fanmeile wurde gestern geräumt. Zwei Menschen wurden niedergetrampelt und verletzt. Jetzt herrscht wieder Ruhe. Bald ist der Wahn vorbei.
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