Samstag, Juni 28, 2008

Stuttgarter Nachrichten füllen das Sommerloch


Wenn es nicht viel zu melden gibt, muss man Themen schaffen. Die Stuttgarter Nachrichten etwa entdecken gerade den vermeintlichen Schwabenhass in Berlin Prenzlauer Berg. Quellenarm, nicht sehr reich an genauen Hintergrundinformationen, aber bemüht kommt der immerhin knapp 6500 Zeichen lange Beitrag der Autorin Claudia Lepping daher. Oberflächlich im Netz recherchiert, ein dpa-Foto, das wahrscheinlich einen Prenzlauer-Berg-Tag enthielt, ein Anruf im Amt und fertig: so wirkt das Textchen der Berlin-Redakteurin.
Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, aber wurde da ein O-Ton aus diesem Polylux-Beitrag zur "Fuck-Yuppie"-Parade wiederverwertet?

Gentrifizierung, ein mittlerweile uraltes Fachwort aus der Stadtsoziologie und Landschaftsplanung, diskreditiert die Autorin zum Szene-Slang. Erstmals beschrieben wurde das Phänomen 1987 vom Wiener Soziologen Jens Dangschat. Die Altbausubstanz des Bezirks ordnet die Schreiberin dem Spätklassizismus zu. Der war um 1900 aber leider schon Geschichte und orientierte sich eher an Formen aus arabischer und byzantinischer Kunst. Die meisten Altbauten in P-Berg stammen aus der Gründerzeit. Das Zauberwörtchen an dieser Stelle heisst Historismus. In der Tat orientieren sich die Fassaden an vergangenen Epochen der Architektur, jedoch eher in Form von neugotischen und neobarocken Elementen und Formen der Neorenaissance. Es gibt in Prenzlauer Berg auch ein Mietshaus, das nach Plänen des Klassizismus-Gurus Schinkel entworfen wurde. Das ist richtig, ob das der Autorin bekannt ist, möchte ich bezweifeln.

"Die Führung des Arbeiter-und-Bauern-Staats DDR modernisierte anlässlich eines Stadtjubiläums einst den Wohnungsbestand und siedelte ganze Arbeiterkolonien an."
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schreibt die engagierte Autorin. Wahrscheinlich bezieht sie sich auf das zur 750-Jahr-Feier Berlins modernisierte, nur zweihundert Meter lange Teilstück der Husemannstraße. Die Altbauten im restlichen Bezirk wurden in der letzten Phase der DDR aus Geldmangel arg vernachlässigt. Stattdessen wurden die Häuser entlang der sogenannten Protokollstrecken nach Wandlitz weiß gemalert und wurden so zu Potemkinschen Dörfern für die Bewohner der Waldsiedlung Wandlitz. In der Kreisplankommision spielte man in den Achtzigern sogar mit dem Gedanken, die alte Bausubstanz in Prenzlauer Berg vollständig abzutragen.

Neues Aushängeschild des Bezirks wurde der Ernst-Thälmann-Park auf dem Gelände des alten Städtischen Gaswerks. Das Konzept war neu und einfach. Vorne Park, hinten Platte, Schule, Kulturhaus, Schwimmhalle, Museum, Planetarium, vier Läden, zwei Restaurants - fertig ist der Sozialismus. Warum man in einem Arbeiterbezirk "Arbeiterkolonien ansiedeln" musste, bleibt mir unklar. Genau das Gegenteil war der Fall. Gerade Arbeiterfamilien aus Hinterhäusern mit Aussenklo zogen in den Achtzigern verstärkt in die Plattenbauten in Lichtenberg, Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf oder in den "Thälmie".

Doch noch etwas sorgte beim Lesen des Artikels für Verwirrung.
Echte Prenzl-Schwaben ficht das nicht an. Im Webblog (sic!) schreibt einer: "Da, wo die Schwaben sind, geht's den Leuten wirtschaftlich gut. Neid muss man sich erarbeiten."

Das stammt nicht aus einem Weblog. Das ist ein Zitat des Senior Financial Consultant Lothar Schreiber aus Metzingen in Springers Berliner Morgenpost. Hoppla! Hier der Link zum Artikel "Schwabenhatz im Prenzlauer Berg". Ich vermute, erst der Artikel hat die Autorin motiviert, ihren Beitrag zu verfassen.

Etwas erstaunt war ich darüber, dass sie mit dem Namen des Armenarztes Karl Kollwitz etwas anfangen konnte. Selbst unter den alteingesessenen Prenzlauer Bergern kennen den leider nur noch wenige Menschen. Und wenn, dann meist nur als Namen der Poliklinik in der Prenzlauer Allee.

Ein unwohles Gefühl machte sich beim Lesen des Artikels in mir breit. Ich will nicht, dass man anderswo einen schlechten und dazu noch falschen Eindruck von meinem Heimatbezirk bekommt. Vielleicht sollte ich generell nicht soviel Regionalpresse lesen.

Liebe Claudia Lepping! Vielleicht googeln Sie ja gelegentlich Ihren eigenen Namen und lesen meine kritischen Reaktionen auf Ihren Text. Sicher sind Sie dann sauer und eingeschnappt. Bitte drohen Sie mir nicht mit irgendwelchen Anwälten oder Unterlassungsklagen! Nehmen Sie lieber direkt mit mir Kontakt auf! Gerne führe ich Sie durch meinen Bezirk, den ich wirklich extrem gut kenne. Von mir können Sie Vieles erfahren, das auch für die Leserinnen und Leser Ihres Mediums neu und von großem Interesse sein wird.

Eines möchte ich an dieser Stelle nochmals betonen: Das Thema Schwabenhass hat in Prenzlauer Berg seit Jahren soooooooooooooooooooonen Bart! Es ist ein absolutes Armutszeugnis der Medienmacher, wenn sie versuchen, ein quasi nicht existentes Phänomen künstlich zum Thema stilisieren. Prenzlauer Berg ist ein toleranter Bezirk und dennoch ein Herd unendlich vieler Probleme. Menschen aus Stuttgart und Umgebung gehören definitiv nicht dazu.
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