Musik und Leckereien beim sechsten Kreuzberger Myfest - Schon die Walpurgisnacht blieb ruhig
Atze sitzt in der Oranienstraße vor einem vergitterten Geschäft. Bierflasche im Anschlag, schwarzes SO-36-Shirt unter der Jacke, angegrauter Zopf. „Ein Fest ist in Ordnung, aber das wird zu viel“, mault er, während er den Menschenmassen zuschaut. Atze, so stellt er sich vor, erzählt, dass er schon seit 25 Jahren in Kreuzberg lebt. Die ersten Straßenschlachten 1987 hat er miterlebt. Aber heute? „Jedes Jahr kommen mehr Stände hinzu. Irgendwann gibt es gar keine Demo mehr“, beklagt er sich.
Die Anwohner und Gewerbetreibenden zwischen Kottbusser Tor und Mariannenplatz veranstalten seit 2003 das Myfest, diesmal mit mehr als 170 Bands auf 17 Bühnen. Damit sollte die ritualisierte Gewalt, die Jahr für Jahr über den Kiez hereinbrach, eingedämmt werden. „Seit fünf Jahren ist nicht mehr so viel Krawall“, sagt Ediybe Kirac. Auf einem Bierzelttisch vor ihrem Haus in der Oranienstraße hat sie Salate, Kuchen und Kaffeekannen angeordnet. „Tagsüber ist es sehr nett.“ Am Abend geht sie aber doch lieber hoch in den dritten Stock.
In der Naunynstraße 67 singt Rapper Ceza über Jugendliche, die Dummheiten begehen und vom Krankenwagen abgeholt werden. Die Zuschauer – Kiezbewohner, türkische Kinder und junge Leute in XXL-Hosen – wippen im Takt. „So, jetzt geht es los. Jetzt müssen wir ein bisschen wachsamer sein“, sagt der 17-jährige Saladin. Der Deutsch-Palästinenser wohnt im Wrangelkiez und ist zum dritten Mal bei der „36 Kingz HipHop“-Bühne als Streitschlichter mit dabei. „Wenn ich sehe, dass zwei Leute aneinandergeraten, gehe ich dazwischen“ sagt der Zwölftklässler. Wie das geht, hat Saladin mit zwölf anderen Jugendlichen in einem Anti-Gewalt-Training gelernt. Augenkontakt zum Gegenüber, direkte Ansprache und auf keinen Fall Gewalt.
Der Geruch von Currywurst und Falafel zieht durch die Straßen. „Mittlerweile haben viele verstanden, dass der 1. Mai keine Krawalle mehr bedeutet“, sagt Polizist Klaus Röchert, der im Referat Migration arbeitet. Am Oranienplatz treffen sich die Beamten mit Vertretern aller großen Migrationsverbände. Die haben die Botschaft an ihre Mitglieder weitergegeben, sagt Pinar Cetim von der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion. Die 26-Jährige erzählt, dass in den Moscheen der 1. Mai als Festtag beschrieben wurde. Festtag? Tine Blisse ist sich nicht so sicher: „Viele Leute haben so nen Hals.“ Weniger Geld, alles wird teurer, auch hätten viele Jugendliche keine Ahnung, worum es am 1. Mai geht. Einfach mal ausrasten, das sei deren Antrieb. Tine ist vom Jugendladen Tek, der Jugendarbeit in Kreuzberg macht. Die Mitglieder verkaufen T-Shirts mit der Aufschrift „Revolution“, auch wenn sie die nicht vor der Haustür wollen. „Es ist besser für uns, wenn Kreuzberg heile bleibt“, sagt Tine.
Das galt in der Vornacht auch für Prenzlauer Berg. Noch strenger als in den Vorjahren kontrollierte die Polizei die Eingänge zum Mauerpark. Flaschen, Dosen, Messer, alles wurde einkassiert. Bier konnte man nur in Plastikbechern mitnehmen zur größten Walpurgisfeier Berlins. 2000 Menschen tanzten und tranken in den 1. Mai. Es gab es kein offizielles Programm, nur ein paar Trommler spielten. Und es blieb beinahe friedlich. Erst sehr spät in der Nacht fingen einige Punks an zu streiten und entzündeten ein Feuer. Als die Polizei löschen wollte, flogen Flaschen, ein paar Steine. Die Beamten griffen sofort durch, holten die Randalierer aus der Menge. Um halb drei war der Park leer. Die Bilanz: 24 Festnahmen, ein verletzter Polizist, der ins Krankenhaus musste: Sein Diensthund hatte ihn gebissen.
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