Im Roten Rathaus hat der Friehling-Verlag gestern die Preisträger des Zeitzeugenpreises Berlin-Brandenburg geehrt. Den ersten Platz machte der Oranienburger Peter Schüler mit seiner Erzählung über einen jüdischen Professor im Prenzlauer Berg der 60iger Jahre.
"Berlin und immer wieder Berlin, tausendfach verflucht und heiß geliebt, ist mehr als eine große Stadt“. Als Peter Schüler diesen ersten Satz seiner Erzählung aufschreibt, sitzt er im Mai vergangenen Jahres an seinem Schreibtisch in Oranienburg. Der 70-Jährige entwirft einen Zeitzeugenbericht, ein Stückchen eigenes Erleben durch die Augen eines Berliners, der die Stadt nach 1960 erlebt. Doch die Geschichte „Goliath und seine Träume“, für den Schüler jetzt mit dem ersten Platz des Zeitzeugenpreises 2008 ausgezeichnet wurde, ist keine äußerliche Beschreibung Berlins. Seine Geschichte hat einen persönlichen tragischen Helden. David Klein, der für die Freiheit seiner Gedanken mit Job, Familienverlust und Einsamkeit bezahlt. Der gerne in das Cafè Lena in Prenzlauer Berg geht, um sich dort mit dem „Malerheini“ über die Welt zu unterhalten. Der sich gegen Darwinismus-Theorie und Gesellschaftsregime auflehnt, dafür von seinen Studenten bewundert wird und schließlich doch noch in Würde stirbt. „Die Geschichte ist Wirklichkeit und ein bisschen Fiktion“, sagt Schüler bei der Preisverleihung im Roten Rathaus. „Den Professor gab es wirklich, ich habe ihn gekannt. Und auch ich wurde aufgrund meiner kritischen Einstellung von der Universität exmatrikuliert“.
Die Zeitspanne 1960 bis 1970 in Berlin-Brandenburg empfand jeder Bewohner anders, doch eins hatten wohl alle gemein: Die Mauer, die politische Anspannung dieser Zeit, das Ost und West schlich sich in jeden Haushalt, in jedes Leben. Grund genug für den in Friedenau ansässigen Friehling-Verlag, genau diese Zeit als Thema ihres Schreibwettbewerbes zu nehmen. Beteiligt hatten sich über 100 Schreiber, darunter ein Drittel Brandenburger, wie Jörg Schönbohm– Innenminister des Landes Brandenburg – in seiner Ansprache zufrieden feststellte. Rund 30 von ihnen waren im Großen Saal erschienen. Menschen, die meist vor 1940 geboren wurden, die Studenten oder Schüler waren, als die Mauer gebaut wurde und die Stadt schließlich teilte. Und weil viele Augen viel sehen, sind die Zeitzeugen-Geschichten bunt geworden. Die Jury war beim Durchsehen der Beiträge „beeindruckt, glücklich – und uneins!“, meinte Andreas Ludwig, Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR, mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Es habe hitzige Diskussionen gegeben und immer wieder offene Fragen und Denkanstöße. Auch deshalb zogen die Mitglieder, die aus Verlag, Medien und Politik stammten, gleich vier Preisträger als „Fischzug aus dem Meer der Erinnerung“ wie Verleger Johann-Friedrich Huffmann die wertvollen literarischen Geschichten nannte.
Mit „verliebt, verlobt, verheiratet – und ein bisschen verwegen“ überzeugte der Journalist und ehemalige Tagesspiegel-Volontär Jürgen Friedenberg (2. Platz) die Jury durch eine Erzählung, die ein junges Pärchen in den Mittelpunkt stellt, das sich ausgerechnet den 14. August 1961 als Hochzeitstermin ausgesucht hat und zwischen Charlottenburg und Prenzlauer Berg hin- und her gerissen ist. Kristin Bochröder beschreibt in „Ostkreuz“ ihre Fluchtpläne von Ost- nach Westberlin, ihre Ängste und Träume. Die Köpenickerin bringt dem Leser in ihrer autobiografischen Erzählung ihre kritische Einstellung zum DDR-Regime nahe. Schließlich flüchtet sie mit einem gefälschten Pass in den Westen und heiratet ihren dortigen Freund. Jenny Schon, Stadtführerin in Potsdam und China-Liebhaberin, beleuchtet in „Mein erster Berlin-Marathon“ ihre aufregenden Erfahrungen als unerfahrenes Kölner Landei im wilden Westberlin 1968. Auf der Demo gegen den Schah-Besuch lernt sie einen jungen Studenten kennen und verliebt sich. Erst spät merkt sie, dass er Kontakte zur RAF hat. Sie folgt ihrem Geliebten nicht in die illegale Welt.
Alle vier Preisträger gaben Auszüge ihrer Werke zum Besten und erhielten als Preise Publizierungsgutscheine für weitere Veröffentlichungen. Peter Schüler konnte zudem ein kleines Kunstwerk mit nach Hause nehmen: Das „Buch der Erinnerung“, eine Skulptur des Metallkünstlers Achim Kühn.
Berlin-Interessierte, Neugierige und Zeitzeugen können sich auf den Juni freuen. Dann erscheinen die besten zehn Zeitzeugen-Erzählungen im Buchhandel – Titel: „Glückssuche im Schatten der Mauer“.
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