Die warme Frühlingssonne, die das berühmte Künstlerhaus Tacheles in der Oranienburger Straße in ein goldenes Licht tauchte, mutete wie ein Hoffnungsschimmer an. Martin Reiter, der Chef und Sprecher des Hauses, sitzt in seinem Büro im ersten Stock auf einer zerschlissenen Couch und redet sich mit einer Gruppe von Künstlern den Kopf heiß. Für den gebürtigen Wiener Apparate-Künstler und seine Mitstreiter geht es im Moment um alles: Es muss ein Weg gefunden werden, damit das Tacheles in der Hand der derzeitigen Künstlergruppe bleibt.
Die Chancen stehen 50:50, denn ab Januar 2009 wird hier, an der Oranienburger Straße, ein anderer Wind wehen. Im Klartext bedeutet das, dass der Investor, die Kölner Fundus-Gruppe, mit einem neuen Konzept das gesamt Areal in der Spandauer Vorstadt total umfunktionieren will. In Zukunft soll mehr Luxus das Bild der Stadt in diesen historischen Bereich prägen. Und dieses Vorhaben ist nicht unbedingt die Richtung, die von der Tacheles-Künstlergruppe favorisiert wird. Im Gegenteil. „Mit dieser Lage müssen wir nun zurecht kommen“, stöhnen die Künstler. Überraschend kommt die neue Situation für den 45-jährigen Martin Reiter und seine Mitstreiter nicht. Hat er doch schon im vergangenen Dezember zusammen mit seinen Künstler-Freunden die Kündigung für das Atelier-Haus in Empfang nehmen müssen. „Wir rechneten damit, dass nach zehn Jahren der Investor unseren Nutzungsvertrag nicht verlängert“, sagt der langhaarige Künstler, der seit 1993 in Berlin wohnt.
Der Vertrag läuft aus.
Tatsächlich war seit Langem klar, dass der Vertrag ausläuft, der 1998 mit Fundus geschlossen wurde. Für damals eine Mark – heute 50 Cent – pro Monat durften die Künstler das ehemalige Kaufhaus für ihre Ateliers nutzen. „Seitdem war hier immer etwas los“, freut sich Martin Reiter, „jährlich haben wir mehr als 300.000 Besucher.“ Touristen, und die vor allem, konnten und können hier an der „Oranienburger“ ein Stück Berlin schnuppern. Hier, wo sich bei eintretender Dunkelheit die Damen vom Straßenstrich tummeln, hier, wo man draußen vor den Lokalen sein Bier trinken kann, ist ein Stück gefühltes Berlin gegenwärtig. Alles ein wenig verrucht, ein wenig Kunst, alles ein wenig schmuddelig – aber schön. „Ja, und dazwischen ist unser Tacheles“, meint Martin Reiter, „und dafür kämpfen wir weiter".
Das wird auch nötig sein, denn Fundus plant an dieser Stelle der Stadt ein anderes Quartier. Der Investor will genau das Gegenteil des Bestehenden, nämlich hier soll ein Stück New York entstehen mit einem Hauch von Luxus. Für das Tacheles soll und muss natürlich Platz sein, denn es steht schließlich unter Denkmalschutz und darf nicht abgerissen werden. „Das wollen wir auch nicht“, meint Fundus-Sprecher Johannes Beermann. Doch das Künstlerhaus soll doch ein wenig anders werden – nicht mehr ganz so alternativ, einfach ein wenig schicker – so ist zu hören.
Martin Reiter, der Künstler Henry Aguirre aus Kolumbien oder der englische Kollagentechniker Tony Sykes werden es schwer haben, ihr eigenes Nutzungskonzept dem Investor schmackhaft zu haben. „Im Prinzip wird es nicht anders sein, als unser bisheriges Schaffen“, meinen sie, „doch Miete werden wir auch zahlen. Daran soll es nicht scheitern.“ So wollen die Tacheles-Künstler entweder eine GmbH oder Stiftung gründen, damit die Zukunft gesichert ist.
Ob das ausreicht? Fundus hat andere Pläne – und die sind konkret. Auf dem Gesamtgelände wird ein Hotel gebaut sowie ein neues Quartier nach New Yorker Vorbild entstehen. Zwar wird das unter Denkmalschutz stehende Tacheles-Gebäude in den Gesamtkomplex integriert, doch der marode, brüchige Charme des Hauses wird verschwinden. „Das Tacheles bleibt auf jeden Fall ein Haus für Künstler, doch es werden wohl andere sein, als bisher“, signalisiert Fundus-Sprecher Johannes Beermann. Genauer wollte er sich nicht äußern, bemängelte aber, dass die Künstler des Hauses bisher noch nichts an Vorschlägen vorgelegt hätten.
Die Pläne des Investors für das Gesamtareal an der Oranienburger Straße sind indes beeindruckend.
Und: Sie verändern das Bild der Oranienburger Straße: Statt wie bisher ein wenig (gewolltes) Schmuddel-Flair mit täglichen Wagenladungen von Bus-Touristen, die „ein Stück altes Berlin“ erleben wollen, wird in Zukunft Luxus das Bild prägen. Schon seit einiger Zeit versucht beispielsweise die Edel-Gastronomie "Lutter & Wegner" ihr Glück in unmittelbarer Nähe des Tacheles – in der Oranienburger Straße 52. Sie wird sich freuen, wenn bald ein „Hauch von New York“ in die Spandauer Vorstadt einkehrt.
„Leben bis vier Uhr morgens, direkt vor der Haustür“, lautet nämlich die Vision der Fundus-Gruppe. Eine Luxus-Wohnanlage mit Service-Leistungen eines benachbarten Hotels (dort, wo im Moment die Freifläche in Richtung Tucholskystraße ist), ausreichend Stellplätze für Autos und ein Wochenmarkt in unmittelbarer Nähe plus eine Portion Kunst sind geplant.
Investor plant "Hauch von New York"
Den Masterplan für das Areal hat das Architektenbüro DPZ (Duany Plater-Zyberk) aus Miami entwickelt. In einer Bauzeit von drei Jahren sollen für rund 500 Millionen Euro insgesamt 24.500 Quadratmeter Wohnfläche, 34.500 Quadratmeter Büro- und 17.000 Einzelhandel-, Gastronomie- sowie Hotelfläche (5-Sterne-Business-Hotel) entstehen. Ein wenig wolle man die Hackeschen Höfe zum Vorbild nehmen.
Mit zwei aufeinander folgenden Höfen soll an der Friedrichstraße nach dem Masterplan der Bau der „Tacheles-Höfe“ beginnen. Ein zehnstöckiger Wohnturm soll hier „wie ein Ausrufezeichen“ den Mittelpunkt bilden. In den Obergeschossen liegen Büros, ganz oben über der Berliner Traufhöhe von 22 Metern sind zurückgesetzte Wohnungen vorgesehen. Die heutige Freifläche hinter dem Tacheles wird in Zukunft weitgehend überbaut sein.
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Allerdings werden zwei kleinere Freiflächen die Rückfront des Kunsthauses bilden. Johannes Beermann: „Hier könnten im Sommer Konzerte, Straßentheater-Aufführungen oder ähnliches stattfinden. Natürlich in Zusammenarbeit mit den Künstlern des Tacheles.“ Schließlich sei das Haus zu einer internationalen Marke geworden. „Von den jährlich rund 300.000 Besuchern kann das neue Quartier profitieren“, schwärmt der Sprecher. Als „Herz“ des Masterplans haben die US-Architekten den trapezförmigen Augustplatz auserkoren, der schräg von der Oranienburger Straße in Richtung Süden abgeht. Rund 160 luxuriöse Eigentumswohnungen mit 80 bis 300 Quadratmetern entstehen, 5-Sterne-plus-Hotel.
Für Martin Reiter und seine Künstler ist die Planung kein Grund zur Aufgabe. „Die Menschen, die täglich kommen, wollen Künstler zum Anfassen. Bei uns geht es ungezwungen zu. Das ist unsere Stärke“, sagt er. Galerien und Ateliers der gehobenen Art hätten auch ihren Platz, meint er, doch nicht unbedingt an dieser Stelle der Stadt, „nur einen Steinwurf vom legendären Scheunenviertel entfernt“. Die Künstlergruppe des Tacheles will nicht aufstecken. Die Frühlingssonne nahmen sie als „leuchtende Fackel der Hoffnung“. Warten wir ab – ob Fundus mitspielt.
2 Kommentare:
..das ist ja eine tolle tacheles selbstdarstellung, aber hin den vorhängen geht im vereindo so einiges daneben, was was immer schön weggeblendet wird, aber dem verein, tachles und vorallem uns, den künstlern schadet... tk
Aktuelle Tacheles Bilder immer hier: http://www.cc4.de/blog/v/kultur/tacheles
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